Eliara lehnte an der metallenen Wand
und sank zusammen. Ihre Sicht verschwamm, dunkle Schatten umrahmten
sie. Ihr Herz schlug so schnell, dass es es eher einem zuckenden,
wimmernden und schmerzenden Etwas wurden denn ihr ihr sonst so
bekanntes Herz. Sie zitterte am ganzen Leib. Fror und schwitzte
gleichzeitig.
Panikattacke! Die letzte war schon
verdammt lange her! Sie versuchte, dagegen anzukämpfen, aber
vergebens. Sie ... brauchte ... dringend …
Sie fand die Schachtel. Verlor sie
wieder. Der Körper war ein Fremdkörper geworden. Irgendwie schaffte
sie es dennoch. 2 Tabletten. Erlösung. Rettung. Als diese anfingen,
zu wirken, nahm sie nach und nach ihr Umfeld wieder war. Genau, sie
hatte sich in eine Toilette geflüchtet. Dort hinten war noch ihre
Tasche. Sie selbst lag noch auf dem Boden, um sie herum die Perlen
ihrer Kette, die nun nicht mehr war. Dazu überall die Tabletten. Die
Schachtel, kaputt.
Mühsam erhob sie sich, ging zum
Waschbecken und schöpfte sich etwas Wasser in ihr Gesicht. Wollte
nicht in den Spiegel schauen. Tat es aber doch. Das Maskara war durch
den Schweiß – oder das Wasser des Waschbeckens – etwas
verschmiert. Muss neu gemacht werden.
Langsam entfernte sie das MakeUp. Der
Körper gehorchte wieder. Meistens. Das Zittern ließ langsam nach. Machte das MakeUp aufbereiten nicht einfacher. Dann räumte sie den Boden auf. Richtete ihre Kleidung neu.
Schaute wieder in den Spiegel, sich auf
das Waschbecken stützend. Ihre Augen lagen in dunklen Höhlen. Gott,
sah sie zerstört aus. Sie suchte das MakeUp heraus und begann, sich
etwas herzurichten. Nach vielleicht 10 Minuten gab sie auf, es würde
nicht besser werden. Sie sah immer noch furchtbar aus. Aber sie
wusste nicht, wie lange sie hier war. Sie musste weiter. Jetzt.
Langsam, zaghaft fasste sie sich über
die Schulter an ihren Rücken. Fühlte das Metall. Zuckte wieder
zurück. Ob die Attacke von den Medikamenten kamen? Die Operation war
erst gestern geschehen. Das Kribbeln hatte zu guten Teilen aufgehört.
Irgendwann, sie wusste nicht genau, wann. Es war auf jeden Fall jetzt
weniger. Naniten, hatten die Ärzte gesagt. Um die Heilung zu
fördern. Metall, in ihrem Körper. Verbunden mit ihrem Rückenmark.
Ihrem Gehirn. Und was nicht noch alles. Unerklärlicherweise hatte
sie nachwievor … Angst. Angst vor diesen … Dingen in ihrem
Körper. Angst vor dem, was noch kommen würde. War sie eigentlich
noch ein Mensch? Oder irgend etwas anderes?
Aber es gab kein Zurück mehr. Musste
weiter gehen. Die Ärzte hatten gesagt, dass es notwendig war. Dies
zu testen. In Realität.
Und sie warteten nun bestimmt schon auf
sie. Also los!
Sie verließ den Raum. Aber Angst,
Angst hatte sie immer noch.
“Miss duMonde” grüßte sie der ihr
noch unbekannte Mann und sie schüttelten sich die Hände. Ihre Hände
waren bestimmt verschwitzt, aber die Hände dieses Mannes übertrafen
die ihren definitiv. Mit leichtem Ekel wischte sie sich dezent ihre
Hände ab, was er nicht zu bemerken schien. Sie hatten selten
jemanden gesehen, der so dick war. Und verschwitzt. Und alt. Und
eklig.
“Und, sind sie soweit? Ich bin der
technische Leiter dieses Tests, Doktor Elon wartet bei der Kapsel
schon auf sie. Bleiben Sie ruhig und machen sie sich keine Sorgen, es
wird alles ganz wunderbar laufen. Nie was passiert bis jetzt. Dort
drüben befindet sich eine Umkleidekabine.” Er nickte
ihr aufmunternd zu, und sie kam nicht umhin, zu bemerken, dass sein
Blick etwas zu lange auf ihr verharrte.
Angeekelt wendete sie sich ab, noch ein
kurzes “Danke” murmelnd. Furchtbar! Schnell verschwand sie hinter
der Umkleide, wo sie ihre Kleidung ablegte und gegen dieses hautenge,
immer wieder unangenehme Ding tauschte. Alles zu? Ok - nur weg hier!
Ohne sich weiter umzusehen, folgte sie dem Wegweisern und stand kurz
darauf in einem kleinen Hangar. Ein Frachthangar, wie es ihn
eigentlich viele gibt. Nur hier befand sich in der Mitte eine Art
Podest, in der die dort verankerte Kapsel mit Klammern gehalten
wurde. Mit rund 4 Metern Durchmesser war sie nicht sehr groß. Eliara
empfand sie sogar als winzig. Da sollte sie hinein?! Und dann hinaus
ins Weltall?!
Kurz überlegte sie nochmals, einfach
umzudrehen und wegzulaufen. Wurde aber doch unterbrochen.
„Ah, da sind sie ja endlich. Ganz
wunderbar, dann können wir sogleich beginnen.“ Die Stimme kam von
hinter ihr – und über ihr. Eliara drehte sich und sah von einer
erhöhten Plattform - unter der das Schott war, durch das sie gerade
hierher gelangt war - einen Mann zu ihr hinunter schauen. Leicht
graue Haare ließen auf ein Alter zwischen … vielem schließen. Man
weiß ja nie.
„Ich bin Aris Eron, sehr erfreut.
Ihnen geht es gut? Aufgeregt?“ Leichte Panik machte sich wieder
breit. Wusste er etwas? Bemerkte er etwas? Seine ruhigen, auf ihr
ruhenden Augen hatten aber etwas … beruhigendes. Fast verstehendes.
Eliara lächelte ihn vorsichtig an und nickte.
„Ja, ziemlich...“ meinte sie nur.
„Das ist gut, sollte man in einem
solchen Moment auch sein. Dann bleibt er auf ewig in ihrem Gedächtnis
– was ja dann wohl einiges heißen sollte, nicht wahr?! Aber ich
kam noch nicht dazu, die letzten Vorbereitungen abzuschließen, sie
sind etwas zu früh dran. Schauen sie sich um, bis ich fertig bin!“
Seine ruhige, sonore Stimme beruhigte
Eliara weiter. Fast, wie wenn ihr Vater mit ihr reden würde. Es tat
gut. Sehr.
Sie nickte kurz zu und beobachtete
einen Moment, wie er wieder hinauf auf das Podest ging und dort
weiter irgendwelche Dinge tat.
Ihr Blick ging wieder hinüber zur
Kapsel. Schaute sie an. Ein Gedanke blitzte auf. Diese Kapsel würde
nicht nur viel ihres zukünftigen Lebens bestimmen. Definieren. Nein
– nicht nur das. Es war sogar Ihre. Ihr gehörende. Ihre Kapsel!
Langsam ging sie hinüber, umrundete
sie einige Male. Panzerung, so legiert, dass sie trotz ihrer
geringen Dicke dem meisten, was das Weltall zu bieten hatte, trotzen
konnte. Zumindest, wenn nicht darauf geschossen wurde... An der
Seite, auf vielleicht 1 Meter Höhe, befand sich eine verschlossene Klappe.
Eliara ging darauf zu, begutachtete sie kurz. Wartungseinschub? Sie
sah kein Schloss oder eine Verriegelung irgend einer Art. Kurzes
Schieben und drücken – nichts. Einer Eingebung folgend legte sie
ihre Hand darauf. Es machte kurz klick – und öffnete sich. Kurze
Glücksgefühle durchströmten sie, während sie das Innere dessen
betrachtete. Hauptverteiler und Sicherungen. Ein Display, was sich
aufhellte und eine grobe Verdrahtung darlegte. Sie begann, damit zu
spielen. Leistungsdaten des Reaktors – nett. Aufzeichnung
bisheriger Grenzfälle – keine. Neu gebaut?! Daten zur internen
Rechenleistung – echt jetzt?! Diese Rechenleistung war enorm! Auf
nur 4 Metern Durchmesser?! Woher?! Wofür?! Ach, halt – wofür. Da
gab es ja diesen Punkt der Übertragung ihres Bewusstseins. Stimmt
wohl... Macht irgendwie dennoch ... Gänsehaut!
„Herr Eron, was ist das für ein
Rechensystem in dieser Kapsel? Ist ja enorm für so wenig Volumen!“
rief sie hinter sich. Und durchstöberte weiter die Daten.
Lebenserhaltende Systeme. Eine Menge darüber... Flüssigkeitsstand
und Reserven. Temperaturen. Drücke. Speicherkapazitäten. Sogar Daten über
Systeme im Universum.
Eine Hand legte sich auf ihre Schultern
und Eliara schreckte kurz zusammen.
„Wollen wir?“ meinte Aris zu ihr.
Sie beruhigte sich wieder und nickte, während sie seine Worte erst
noch realisierte.
„Gut, dann los.“ meinte er und
deutete auf eine Stelle, die ihr bis jetzt nicht aufgefallen war.
Aber aus der direkten Nähe konnte sie erkennen, dass dort
anscheinend ein in die Außenwand eingebettetes Schott war. Eine Tür,
nahezu perfekt übergehend in die Außenwand der Kapsel. Kurz blickte
sie zu Aris, dieser nickte sie nur kurz und mit einem wärmenden
Lächeln an. Sie berührte das Schott mit ihrer Handfläche. Kühl.
Kurz darauf aber begannen Geräusche nach außen zu dringen. Das
Schott schob sich nach vorn und zur Seite und ein Sitz fuhr nach
außen. Dazu konnte man einen Blick in das innere erhaschen – was
wenig mehr war als Platz für den Sitz selbst und metallene Wände.
Und dieser Sitz sah verdammt unbequem
aus!
Nichts desto trotz begann Aris, ihr
einige Dinge zu erklären.
„Hier links sind einige Taschen. Ein
weitere Anzug hat hier Platz. Dort sind Nahrungskonzentrate. Hier auf der
rechten Seite befindet sich ein Notfall-Bedienfeld. Unter dem Sitz
befestigt ist ebenfalls eine Tasche – die meisten Kapsuler nutzen
sie für Waffen. Naja, Kapsuler halt. Allemal, hier hinter dem Sitz
ist der Anschluss zum Schiff. Sozusagen ihre Verbindung mit der
Kapsel und über diese mit dem Schiff selbst, in welches die Kapsel
in der Regel eingebettet ist. Aber nicht heute, heute testen wir nur
einmal die grundsätzliche Funktionsfähigkeit der Verbindung und der
Kapsel selbst. Schiffe kommen später!“ Kurz zwinkerte er ihr zu
und sie ertappte sich dabei, zu lächeln.
Er deutete vorsichtig auf den Sitz und
nach kurzem Zögern setzte sie sich darauf. Kurz darauf war sie dank
Aris fest verzurrt mit dem Sitz selbst und er trat einen Schritt
zurück.
Unsicher beobachtete sie die Umgebung,
die Kapsel, Aris, den Sitz, sich selbst.
Ihr war flau im Magen. Sehr.
Aris tat einen Schritt zurück,
musterte noch einmal alles und nickte kurz vor sich her.
„Sehr gut, alles fertig. Ich werde
sie jetzt verbinden und danach den Hangar verlassen. Viel Glück
Ihnen, Miss duMonde!“
Ohne große Umschweife trat er neben
sie und fing an, hinter ihr zu hantieren. Oh Gott!!! Ihr Finger fing
wieder an zu zittern. Sie wollte schauen, was er tat, konnte aber
nicht. Wollte sich auch nicht verraten.
Und da stand er auch schon wieder vor
ihr, strahlend.
„So, das war's. Alles wunderbar, bis
gleich!“
Ohne weitere Worte wand er sich um und
ging hinaus.
Irritiert und verwirrt bewegte Eliara
ihren Kopf etwas – und tatsächlich. Leicht bemerkte sie, wie mit
ihrem Körper nun etwas verbunden war. Aber nur wenig – konnte sie
sich doch kaum bewegen in dem Sitz. Sonst merkte sie nichts. Seltsam.
Aris war noch nicht ganz aus dem
Hangar, da begannen im Schiff wieder Geräusche zu ertönen. Der
Generator sprang an und ehe Eliara es ganz realisieren konnte, schob
sich ihr Sitz – und sie mit ihm – in die Kapsel hinein und das
Schott schloss sich. Dämmriges, hellblaues Licht erfüllte nun das
Innere.
Eliara versuchte, sich zu beruhigen.
Denk an die Übungen! All die Übungen! Simulationen! Das hier ist
ganz gleich! Genau so! Also mach es genau so!
Nur – war es real ….
Im gleichen Moment wurde Flüssigkeit
in den Innenraum gepumpt. Schnell – verdammt schnell. Ehe Eliara
sich versah, war es auf Brusthöhe und ehe sie aufschreien konnte,
war der Innenraum komplett gefüllt damit.
Was sie nicht davon abhielt, zu
schreien. Panik machte sich wieder breit. Sie versuchte, den Sitz zu verlassen. Vergebens. Bekam keine Luft mehr.
Würde ersticken!
Nein, würde sie nicht! Die Reflexe
ihres Körpers bekämpfend, versuchte sie sich verzweifelt, etwas zu
beruhigen.
OK, atmen. Wie in den Übungen. Erst
alles raus, jeden Rest Luft. Yup, das hat der Schrei erledigt. Dann
rein. Langsam.
Langsam(er) holte sie etwas „Luft“.
Zu schnell, langsamer! Noch langsamer, gegen den Druck ihrer Lungen
ankämpfend, füllte sie ihre Lungen mit der Flüssigkeit. Und
begann, zu atmen. Ein. Aus. Ein. Aus. Gut so! Wie in den Übungen!
Sehr gut!
Nach einigen Momenten hatte sie sich
beruhigt. Das wäre geschafft. Wie weiter?
„Eliara.“ Die Stimme von Aris –
woher? Lautsprecher?
„Ich werde jetzt die Verbindung
zwischen dir und dem Schiff einleiten. Bleibe einfach ruhig. Es kann
nichts passieren, wir sehen hier alles und können immer eingreifen.“
Kurz überlegte sie, ob sie etwas
antworten sollte.
Im nächsten Moment war sie im nichts.
Leere umfüllte sie. Nichts als dunkle Leere.
„Synchronisierung abgeschlossen.“
Der Hangar. Sie war zurück im Hangar.
Stand inmitten der Brüstung, in der die Kapsel gewesen war. Nur das
Licht war anders. Heller. Die Wände hatten mehr Schattierungen. Und
– waren leicht schimmernd. Durchsichtig? Durchsichtig! Wie war das möglich? Sie
konnte plötzlich einfach so durch einige Schichten an Wänden
hindurch sehen!
Dann realisierte sie den Vorgang.
Sensoren unterschiedlichster Art. Kameras. Infrarot. Ultraschall.
Radar. Die Kapsel übersetzte all dies in ihr bekannte Informationen.
Ließ sie „sehen“, „hören“ und „riechen“.
Sie drehte sich um sich selbst, den
Hangar beobachtend. Das Gerüst um sie herum viel dabei auseinander.
Ihr war dies egal. Auch wenn sie das Gerüst auf irgend eine Art und
Weise „fühlen“ konnte. Sie konnte so viel mehr sehen!
Stromleitungen, gleißend hell. Schilde hinter den Schotten. Entfernt
- Menschen. Aris! Sie wusste einfach, wo er ungefähr war!
Unglaublich!
Sie wollte hinaus! Ins Weltall! Wo war
der Ausgang – dort, das Schott!
Sie schwebte darauf zu.
Schwebte! Seltsam. Warum war sie
eigentlich noch sie selbst? Ihr Körper? Wenn sie doch...
Im nächsten Augenblick schon schwebte
dort die Kapsel im Raum. Sie war die Kapsel geworden. Wie seltsam. Aber hey!
Aber wie weiter? Das Schott – wie auf
bekommen?
Ein Signal senden...
„Schotten, öffnet euch!“ rief sie
den Schotten entgegen – und diese gehorchten! Sie öffneten sich!
Schnell bewegte sie sich hindurch, wusste irgendwie dass nur wenige
Zentimeter Platz zwischen ihr und den Schotten waren.
Hinaus! Die nächsten Tore öffnete sie
nur noch lässig mit einer Handgeste – auch das schien die Kapsel
zu verstehen und zu übersetzen.
Und dann war sie hinaus. Aus der
Station. Im Weltall.
Und sah dieses in einer Fülle, die
kein normaler Mensch je sehen würde ...
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