Dienstag, 15. Juli 2014

[Eliara] Der Weg 02

Eliara lehnte an der metallenen Wand und sank zusammen. Ihre Sicht verschwamm, dunkle Schatten umrahmten sie. Ihr Herz schlug so schnell, dass es es eher einem zuckenden, wimmernden und schmerzenden Etwas wurden denn ihr ihr sonst so bekanntes Herz. Sie zitterte am ganzen Leib. Fror und schwitzte gleichzeitig.

Panikattacke! Die letzte war schon verdammt lange her! Sie versuchte, dagegen anzukämpfen, aber vergebens. Sie ... brauchte ... dringend …
Sie fand die Schachtel. Verlor sie wieder. Der Körper war ein Fremdkörper geworden. Irgendwie schaffte sie es dennoch. 2 Tabletten. Erlösung. Rettung. Als diese anfingen, zu wirken, nahm sie nach und nach ihr Umfeld wieder war. Genau, sie hatte sich in eine Toilette geflüchtet. Dort hinten war noch ihre Tasche. Sie selbst lag noch auf dem Boden, um sie herum die Perlen ihrer Kette, die nun nicht mehr war. Dazu überall die Tabletten. Die Schachtel, kaputt.
Mühsam erhob sie sich, ging zum Waschbecken und schöpfte sich etwas Wasser in ihr Gesicht. Wollte nicht in den Spiegel schauen. Tat es aber doch. Das Maskara war durch den Schweiß – oder das Wasser des Waschbeckens – etwas verschmiert. Muss neu gemacht werden.
Langsam entfernte sie das MakeUp. Der Körper gehorchte wieder. Meistens. Das Zittern ließ langsam nach. Machte das MakeUp aufbereiten nicht einfacher. Dann räumte sie den Boden auf. Richtete ihre Kleidung neu.
Schaute wieder in den Spiegel, sich auf das Waschbecken stützend. Ihre Augen lagen in dunklen Höhlen. Gott, sah sie zerstört aus. Sie suchte das MakeUp heraus und begann, sich etwas herzurichten. Nach vielleicht 10 Minuten gab sie auf, es würde nicht besser werden. Sie sah immer noch furchtbar aus. Aber sie wusste nicht, wie lange sie hier war. Sie musste weiter. Jetzt.
Langsam, zaghaft fasste sie sich über die Schulter an ihren Rücken. Fühlte das Metall. Zuckte wieder zurück. Ob die Attacke von den Medikamenten kamen? Die Operation war erst gestern geschehen. Das Kribbeln hatte zu guten Teilen aufgehört. Irgendwann, sie wusste nicht genau, wann. Es war auf jeden Fall jetzt weniger. Naniten, hatten die Ärzte gesagt. Um die Heilung zu fördern. Metall, in ihrem Körper. Verbunden mit ihrem Rückenmark. Ihrem Gehirn. Und was nicht noch alles. Unerklärlicherweise hatte sie nachwievor … Angst. Angst vor diesen … Dingen in ihrem Körper. Angst vor dem, was noch kommen würde. War sie eigentlich noch ein Mensch? Oder irgend etwas anderes?
Aber es gab kein Zurück mehr. Musste weiter gehen. Die Ärzte hatten gesagt, dass es notwendig war. Dies zu testen. In Realität.
Und sie warteten nun bestimmt schon auf sie. Also los!
Sie verließ den Raum. Aber Angst, Angst hatte sie immer noch.



“Miss duMonde” grüßte sie der ihr noch unbekannte Mann und sie schüttelten sich die Hände. Ihre Hände waren bestimmt verschwitzt, aber die Hände dieses Mannes übertrafen die ihren definitiv. Mit leichtem Ekel wischte sie sich dezent ihre Hände ab, was er nicht zu bemerken schien. Sie hatten selten jemanden gesehen, der so dick war. Und verschwitzt. Und alt. Und eklig.
“Und, sind sie soweit? Ich bin der technische Leiter dieses Tests, Doktor Elon wartet bei der Kapsel schon auf sie. Bleiben Sie ruhig und machen sie sich keine Sorgen, es wird alles ganz wunderbar laufen. Nie was passiert bis jetzt. Dort drüben befindet sich eine Umkleidekabine.” Er nickte ihr aufmunternd zu, und sie kam nicht umhin, zu bemerken, dass sein Blick etwas zu lange auf ihr verharrte.
Angeekelt wendete sie sich ab, noch ein kurzes “Danke” murmelnd. Furchtbar! Schnell verschwand sie hinter der Umkleide, wo sie ihre Kleidung ablegte und gegen dieses hautenge, immer wieder unangenehme Ding tauschte. Alles zu? Ok - nur weg hier! Ohne sich weiter umzusehen, folgte sie dem Wegweisern und stand kurz darauf in einem kleinen Hangar. Ein Frachthangar, wie es ihn eigentlich viele gibt. Nur hier befand sich in der Mitte eine Art Podest, in der die dort verankerte Kapsel mit Klammern gehalten wurde. Mit rund 4 Metern Durchmesser war sie nicht sehr groß. Eliara empfand sie sogar als winzig. Da sollte sie hinein?! Und dann hinaus ins Weltall?!
Kurz überlegte sie nochmals, einfach umzudrehen und wegzulaufen. Wurde aber doch unterbrochen.
„Ah, da sind sie ja endlich. Ganz wunderbar, dann können wir sogleich beginnen.“ Die Stimme kam von hinter ihr – und über ihr. Eliara drehte sich und sah von einer erhöhten Plattform - unter der das Schott war, durch das sie gerade hierher gelangt war - einen Mann zu ihr hinunter schauen. Leicht graue Haare ließen auf ein Alter zwischen … vielem schließen. Man weiß ja nie.
„Ich bin Aris Eron, sehr erfreut. Ihnen geht es gut? Aufgeregt?“ Leichte Panik machte sich wieder breit. Wusste er etwas? Bemerkte er etwas? Seine ruhigen, auf ihr ruhenden Augen hatten aber etwas … beruhigendes. Fast verstehendes. Eliara lächelte ihn vorsichtig an und nickte.
„Ja, ziemlich...“ meinte sie nur.
„Das ist gut, sollte man in einem solchen Moment auch sein. Dann bleibt er auf ewig in ihrem Gedächtnis – was ja dann wohl einiges heißen sollte, nicht wahr?! Aber ich kam noch nicht dazu, die letzten Vorbereitungen abzuschließen, sie sind etwas zu früh dran. Schauen sie sich um, bis ich fertig bin!“
Seine ruhige, sonore Stimme beruhigte Eliara weiter. Fast, wie wenn ihr Vater mit ihr reden würde. Es tat gut. Sehr.
Sie nickte kurz zu und beobachtete einen Moment, wie er wieder hinauf auf das Podest ging und dort weiter irgendwelche Dinge tat.

Ihr Blick ging wieder hinüber zur Kapsel. Schaute sie an. Ein Gedanke blitzte auf. Diese Kapsel würde nicht nur viel ihres zukünftigen Lebens bestimmen. Definieren. Nein – nicht nur das. Es war sogar Ihre. Ihr gehörende. Ihre Kapsel!
Langsam ging sie hinüber, umrundete sie einige Male. Panzerung, so legiert, dass sie trotz ihrer geringen Dicke dem meisten, was das Weltall zu bieten hatte, trotzen konnte. Zumindest, wenn nicht darauf geschossen wurde... An der Seite, auf  vielleicht 1 Meter Höhe, befand sich eine verschlossene Klappe. Eliara ging darauf zu, begutachtete sie kurz. Wartungseinschub? Sie sah kein Schloss oder eine Verriegelung irgend einer Art. Kurzes Schieben und drücken – nichts. Einer Eingebung folgend legte sie ihre Hand darauf. Es machte kurz klick – und öffnete sich. Kurze Glücksgefühle durchströmten sie, während sie das Innere dessen betrachtete. Hauptverteiler und Sicherungen. Ein Display, was sich aufhellte und eine grobe Verdrahtung darlegte. Sie begann, damit zu spielen. Leistungsdaten des Reaktors – nett. Aufzeichnung bisheriger Grenzfälle – keine. Neu gebaut?! Daten zur internen Rechenleistung – echt jetzt?! Diese Rechenleistung war enorm! Auf nur 4 Metern Durchmesser?! Woher?! Wofür?! Ach, halt – wofür. Da gab es ja diesen Punkt der Übertragung ihres Bewusstseins. Stimmt wohl... Macht irgendwie dennoch ... Gänsehaut!
„Herr Eron, was ist das für ein Rechensystem in dieser Kapsel? Ist ja enorm für so wenig Volumen!“ rief sie hinter sich. Und durchstöberte weiter die Daten. Lebenserhaltende Systeme. Eine Menge darüber... Flüssigkeitsstand und Reserven. Temperaturen. Drücke. Speicherkapazitäten. Sogar Daten über Systeme im Universum.
Eine Hand legte sich auf ihre Schultern und Eliara schreckte kurz zusammen.
„Wollen wir?“ meinte Aris zu ihr. Sie beruhigte sich wieder und nickte, während sie seine Worte erst noch realisierte.
„Gut, dann los.“ meinte er und deutete auf eine Stelle, die ihr bis jetzt nicht aufgefallen war. Aber aus der direkten Nähe konnte sie erkennen, dass dort anscheinend ein in die Außenwand eingebettetes Schott war. Eine Tür, nahezu perfekt übergehend in die Außenwand der Kapsel. Kurz blickte sie zu Aris, dieser nickte sie nur kurz und mit einem wärmenden Lächeln an. Sie berührte das Schott mit ihrer Handfläche. Kühl. Kurz darauf aber begannen Geräusche nach außen zu dringen. Das Schott schob sich nach vorn und zur Seite und ein Sitz fuhr nach außen. Dazu konnte man einen Blick in das innere erhaschen – was wenig mehr war als Platz für den Sitz selbst und metallene Wände.
Und dieser Sitz sah verdammt unbequem aus!
Nichts desto trotz begann Aris, ihr einige Dinge zu erklären.
„Hier links sind einige Taschen. Ein weitere Anzug hat hier Platz. Dort sind Nahrungskonzentrate. Hier auf der rechten Seite befindet sich ein Notfall-Bedienfeld. Unter dem Sitz befestigt ist ebenfalls eine Tasche – die meisten Kapsuler nutzen sie für Waffen. Naja, Kapsuler halt. Allemal, hier hinter dem Sitz ist der Anschluss zum Schiff. Sozusagen ihre Verbindung mit der Kapsel und über diese mit dem Schiff selbst, in welches die Kapsel in der Regel eingebettet ist. Aber nicht heute, heute testen wir nur einmal die grundsätzliche Funktionsfähigkeit der Verbindung und der Kapsel selbst. Schiffe kommen später!“ Kurz zwinkerte er ihr zu und sie ertappte sich dabei, zu lächeln.
Er deutete vorsichtig auf den Sitz und nach kurzem Zögern setzte sie sich darauf. Kurz darauf war sie dank Aris fest verzurrt mit dem Sitz selbst und er trat einen Schritt zurück.
Unsicher beobachtete sie die Umgebung, die Kapsel, Aris, den Sitz, sich selbst.
Ihr war flau im Magen. Sehr.
Aris tat einen Schritt zurück, musterte noch einmal alles und nickte kurz vor sich her.
„Sehr gut, alles fertig. Ich werde sie jetzt verbinden und danach den Hangar verlassen. Viel Glück Ihnen, Miss duMonde!“
Ohne große Umschweife trat er neben sie und fing an, hinter ihr zu hantieren. Oh Gott!!! Ihr Finger fing wieder an zu zittern. Sie wollte schauen, was er tat, konnte aber nicht. Wollte sich auch nicht verraten.
Und da stand er auch schon wieder vor ihr, strahlend.
„So, das war's. Alles wunderbar, bis gleich!“
Ohne weitere Worte wand er sich um und ging hinaus.
Irritiert und verwirrt bewegte Eliara ihren Kopf etwas – und tatsächlich. Leicht bemerkte sie, wie mit ihrem Körper nun etwas verbunden war. Aber nur wenig – konnte sie sich doch kaum bewegen in dem Sitz. Sonst merkte sie nichts. Seltsam.
Aris war noch nicht ganz aus dem Hangar, da begannen im Schiff wieder Geräusche zu ertönen. Der Generator sprang an und ehe Eliara es ganz realisieren konnte, schob sich ihr Sitz – und sie mit ihm – in die Kapsel hinein und das Schott schloss sich. Dämmriges, hellblaues Licht erfüllte nun das Innere.
Eliara versuchte, sich zu beruhigen. Denk an die Übungen! All die Übungen! Simulationen! Das hier ist ganz gleich! Genau so! Also mach es genau so!
Nur – war es real ….
Im gleichen Moment wurde Flüssigkeit in den Innenraum gepumpt. Schnell – verdammt schnell. Ehe Eliara sich versah, war es auf Brusthöhe und ehe sie aufschreien konnte, war der Innenraum komplett gefüllt damit.
Was sie nicht davon abhielt, zu schreien. Panik machte sich wieder breit. Sie versuchte, den Sitz zu verlassen. Vergebens. Bekam keine Luft mehr. Würde ersticken!
Nein, würde sie nicht! Die Reflexe ihres Körpers bekämpfend, versuchte sie sich verzweifelt, etwas zu beruhigen.
OK, atmen. Wie in den Übungen. Erst alles raus, jeden Rest Luft. Yup, das hat der Schrei erledigt. Dann rein. Langsam.
Langsam(er) holte sie etwas „Luft“. Zu schnell, langsamer! Noch langsamer, gegen den Druck ihrer Lungen ankämpfend, füllte sie ihre Lungen mit der Flüssigkeit. Und begann, zu atmen. Ein. Aus. Ein. Aus. Gut so! Wie in den Übungen! Sehr gut!
Nach einigen Momenten hatte sie sich beruhigt. Das wäre geschafft. Wie weiter?
„Eliara.“ Die Stimme von Aris – woher? Lautsprecher?
„Ich werde jetzt die Verbindung zwischen dir und dem Schiff einleiten. Bleibe einfach ruhig. Es kann nichts passieren, wir sehen hier alles und können immer eingreifen.“
Kurz überlegte sie, ob sie etwas antworten sollte.

Im nächsten Moment war sie im nichts. Leere umfüllte sie. Nichts als dunkle Leere.

„Synchronisierung abgeschlossen.“

Der Hangar. Sie war zurück im Hangar. Stand inmitten der Brüstung, in der die Kapsel gewesen war. Nur das Licht war anders. Heller. Die Wände hatten mehr Schattierungen. Und – waren leicht schimmernd. Durchsichtig? Durchsichtig! Wie war das möglich? Sie konnte plötzlich einfach so durch einige Schichten an Wänden hindurch sehen!
Dann realisierte sie den Vorgang. Sensoren unterschiedlichster Art. Kameras. Infrarot. Ultraschall. Radar. Die Kapsel übersetzte all dies in ihr bekannte Informationen. Ließ sie „sehen“, „hören“ und „riechen“.
Sie drehte sich um sich selbst, den Hangar beobachtend. Das Gerüst um sie herum viel dabei auseinander. Ihr war dies egal. Auch wenn sie das Gerüst auf irgend eine Art und Weise „fühlen“ konnte. Sie konnte so viel mehr sehen! Stromleitungen, gleißend hell. Schilde hinter den Schotten. Entfernt - Menschen. Aris! Sie wusste einfach, wo er ungefähr war! Unglaublich!
Sie wollte hinaus! Ins Weltall! Wo war der Ausgang – dort, das Schott!
Sie schwebte darauf zu.
Schwebte! Seltsam. Warum war sie eigentlich noch sie selbst? Ihr Körper? Wenn sie doch...
Im nächsten Augenblick schon schwebte dort die Kapsel im Raum. Sie war die Kapsel geworden. Wie seltsam. Aber hey!
Aber wie weiter? Das Schott – wie auf bekommen?
Ein Signal senden...
„Schotten, öffnet euch!“ rief sie den Schotten entgegen – und diese gehorchten! Sie öffneten sich! Schnell bewegte sie sich hindurch, wusste irgendwie dass nur wenige Zentimeter Platz zwischen ihr und den Schotten waren.
Hinaus! Die nächsten Tore öffnete sie nur noch lässig mit einer Handgeste – auch das schien die Kapsel zu verstehen und zu übersetzen.

Und dann war sie hinaus. Aus der Station. Im Weltall.


Und sah dieses in einer Fülle, die kein normaler Mensch je sehen würde ...

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